Von Dr. Martin Böhn
Hier geht es zum ersten Beitrag der Reihe: Beyond CXM? – Was braucht die nächste Stufe im Management von Kundenbeziehungen?
Die Wahrnehmung des Kundenerlebnisses ändert sich. Schon lange ist es oft nicht nur das Produkt selbst, welches im Fokus steht, sondern auch ergänzende Leistungen (wie bspw. Services) oder schlicht gute Inhalte, welche die Anwendungsmöglichkeiten und Vorteile verdeutlichen. Die Differenzierung erfolgt durch das Einkaufserlebnis und die Unterstützung des Nutzungserlebnisses. Neue Ideen zur Nutzung, die Verbindung mit anderen Anwendern in einer Community oder schlicht die regelmäßige Versorgung mit Informationen und Trends entscheiden über den Kauf.
Verschiedene Untersuchungen belegen, wie entscheidend das Kundenerlebnis und die gezielte Beeinflussung der Kundenreise sind. Eine Vielzahl von Kaufentscheidungen ist schon vor dem Betreten einer Filiale oder eines Online-Shops gefallen. Signifikante Mengen des (virtuellen oder tatsächlichen) Warenkorbs sind Spontankäufe durch gezielte Unterbreitung von Angeboten. Gerade bei höherpreisigen Produkten prüfen Anwender bewusst mehrere Anbieter.
Wie stark diese Trends die Kundenwahrnehmung und damit die Kaufentscheidung sowie die Kundenbindung beeinflussen, ist natürlich abhängig von den Produkten / Leistungen und Kundengruppen. Es lassen sich aber übergreifende Trends erkennen, wie Angebote erlebbarer gemacht werden sollen. Der Mehrwert soll herausgestellt und damit der Anbieter klar beim Kunden verankert werden. Das zeigt sich insbesondere in den folgenden Trends:
Bedarfsgerechte, mehrwertorientierte Kommunikation: interaktiv, personalisiert und am Kunden ausgerichtet
Marketing-Automation-Systeme helfen, Masse mit Klasse zu verbinden. Den Kunden können anhand ihrer Personas und Kauf- oder Bewegungsprofile Informationen bereitgestellt werden, die möglichst genau die aktuellen Bedürfnisse ansprechen. Die Personalisierung geht dabei über eine reine Anrede hinaus, unter anderem werden der Zeitpunkt, der Kanal und der Inhalt entsprechend der Kundenwünsche ausgerichtet. Dies umfasst bspw., welche Produkte und welche Art der Ansprache (bspw. Betonung der Technologie, der Nachhaltigkeit oder eines Lebensgefühls) gewählt werden.
Das Kundenerlebnis und die Kundenreise dürfen dabei nicht nur auf die einmalige Bereitstellung von Informationen beschränkt sein. Kampagnen müssen die interaktive Kommunikation fördern. So bringt sich der Kunde stärker ein und hat einen klareren Bezug zum Angebot des jeweiligen Unternehmens. Gleichzeitig gibt er mehr Informationen über seine Wünsche und Präferenzen preis, was die Basis für eine noch genauere Ansprache ist. Dabei müssen verschiedene Kanäle (bspw. E-Mail, Web, Social, direkter Kontakt) zu einer übergreifenden Kundenbetreuung verbunden werden.
Datengestützte Mehrwertdienste
Je mehr die Unternehmen ihre Kunden verstehen, desto besser können sie ihre Leistungen an deren Bedürfnissen auslegen. Die stärkere Digitalisierung erlaubt es in vielen Bereichen, datengestützte Mehrwertdienste anzubieten, welche die eigentlichen Produkte und Leistungen ergänzen. Gezielte Informationsangebote, bedarfsgerechte Serviceleistungen (vgl. Predictive Maintenance) oder ergänzende digitale Welten helfen, das eigene Angebot vom Wettbewerb zu differenzieren. Dies stärkt die Kundenbindung und bietet im besten Fall zusätzliche Umsatzchancen.
Diese datengestützten Mehrwertdienste umfassen den gesamten Kundenlebenszyklus.
Sie unterstützen Marketing und Vertrieb, indem sie zusätzliche Mehrwerte aufzeigen. Anschließend erweitern Sie das Nutzungserlebnis und unterstützen den Service. Der Kunde kann so zu Wiederholkäufen oder Cross- und Up-Selling-Produkten geführt werden. Bei einem entsprechend guten Kundenerlebnis besteht zudem die Möglichkeit, den Kunden für das eigene Marketing zu nutzen (Social Promotion, Success Stories, positive Erlebnisberichte etc.).
Differenzierung durch umfassendere Wahrnehmung
Das Kundenerlebnis beim Kauf und bei der Benutzung sind entscheidende Faktoren in der Kaufentscheidung. Durch ein besonderes Image, eine besondere Verpackung und generell eine gut geführte Kundenreise wird schon der Kauf selbst als Mehrwert empfunden. Hier kann sich ein Unternehmen klar vom Wettbewerb abheben, da keine (austauschbaren) Produkte oder Leistungen vertrieben werden, sondern ein Lebensgefühl und ein Mehrwertversprechen. Beispiele für „Cool / Trendy“ oder „Rundum sorglos“ finden sich in sehr unterschiedlichen Branchen und auch sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich.
Gerade die Kombination aus Produkten und Leistungen kann hier ein entscheidender Faktor bei der Gestaltung der Customer Experience sein. Durch gezielte Informationen werden die Nutzungsmöglichkeiten und Vorteile verdeutlicht, was es dem Kunden einfacher macht, diesen Nutzen auch selbst zu erleben. Weitere Dienste und Services können das Produkt ergänzen – und in den Augen des Kunden wiederum weniger austauschbar machen.
Hierzu werden auch gezielt Communities aufgebaut. Produzenten / Hersteller vernetzen sich enger mit den Händlern / Partnern, um die Kundenansprache besser zu steuern und gleichzeitig ein schnelleres und besseres Feedback vom Markt zu erhalten. Durch Kunden- / Nutzervereinigungen werden Kunden in die Weiterentwicklung, Vermarktung und Erläuterung der Produkte und Leistungen einbezogen. Auch hier fließen wesentliche Informationen zur Wahrnehmung von Stärken und Schwächen am Markt zurück zum Hersteller.
Ein Ideen- und Erfahrungsaustausch über (soziale) Netze schafft einen Mehrwert aus der gemeinsamen Nutzung durch Gleichgesinnte. Ob zur gezielten Problemlösung, zum lockeren Austausch oder schlicht zu Spaß schafft ein solches Netzwerk Mehrwerte sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich.
Zunehmend gehen die Anbieter von Produkten und Leistungen auch auf die neuen technischen Möglichkeiten ein. Augmented und Virtual Reality werden für immer mehr Produkte eingesetzt, um die Leistungen bereits in der Vertriebs- und Planungsphase erlebbar zu machen. Die Customer Experience wird dadurch unterstützt, dass schnell die potenzielle Anwendung der Produkte und Leistungen ausprobiert werden kann. Zudem bestehen meist Möglichkeiten der schnelleren Erfassung und Änderung von Konfigurationsdaten, also zum flexibleren Eingehen auf Kundenwünsche.
Künstliche Intelligenz wird in der besseren Profilbildung, vor allem aber auch in der Steuerung der Kommunikation eingesetzt. Stamm- und Bewegungsdaten können zur Ausgestaltung des Contents und bei der Wahl von Kanal und Zeitpunkt der Ansprache genutzt werden. Website-Chat und Chatbots dienen dem Übergang von der Präsentation von Inhalten zur Interaktion und damit der stärkeren Einbindung des Kunden. Online-Präsentationen und Konferenzen werden aktuell im B2C und insbesondere im B2B verstärkt, um die Einschränkungen im persönlichen Kontakt auszugleichen.
Wesentlicher Bestandteil der Customer Experience ist die Möglichkeit der Interaktion, bei der ein Kunde sich einbringen, seine Wünsche äußern und auf seinen Bedarf zugeschnittene Informationen bekommen kann. Die Ziele bleiben gleich, aber die Mittel werden angepasst.
Ausrichtung der Organisation auf den Kunden
Gute Customer Experience ist keine reine Frage von Daten oder Werkzeugen. Die Informationen müssen auch schnell, flexibel und in hoher Qualität verarbeitet werden können. Dies stellt hohe Anforderungen an die Prozesssteuerung und die Qualifikation der Mitarbeiter. Zudem müssen die Anwender auch entsprechend handeln wollen. Daher sind gutes Change-Management und eine solide organisatorische Verankerung wichtig, welche Eigenverantwortlichkeit und Initiative fördert.
Marketing und Vertrieb dürfen nicht auf die eigenen Produkte und Leistungen fixiert sein, sondern müssen die viel zitierte Kundenbrille aufsetzen. Es gilt, drei wesentliche Schritte zu gehen, um den Kunden zu überzeugen:
- Beantworte die Frage des Kunden (egal, ob er dazu die richtigen Worte gewählt hat).
- Löse das Problem des Kunden (und erkenne das wahre Problem: was braucht er wirklich?).
- Zeige dem Kunden weitere Potenziale auf (und platziere Dich damit als Freund und Berater).
Dazu ist ein gutes Kundenwissen erforderlich. Leider zeigt sich in vielen Projekten, dass man zwar über „Next Generation Customer Experience“ spricht, aber immer noch an lange bekannten Herausforderungen scheitert (siehe auch oben): Fehlende Kundenorientierung, schlechte Daten, schlechte Prozesse, unzureichende Werkzeuge und vor allem: eine fehlende Strategie.
Befähigung der Mitarbeiter: Digital Workplace
Gute Konzepte können nur umgesetzt werden, wenn die Mitarbeiter die richtigen Werkzeuge und die richtigen Informationen im Zugriff haben. Der Digital Workplace verbindet verschiedene Quellen und schafft den erforderlichen Kontext, damit die Anwender schnell, gezielt und flexibel handeln können.
Verschiedene CRM-Anbieter stellen hierfür entsprechende Clients oder Informationsportale bereit. Es müssen aber auch die richtigen Schnittstellen- und Prozesskonzepte vorliegen. Denn gerade im Kundenbeziehungsmanagement werden viele Spezialsysteme eingesetzt, welche einzelne Aufgabenbereiche sehr gut abdecken, aber auch zu einer übergreifenden Sicht zusammengeführt werden müssen.
Die disruptive Evolution des Kundendenkens
Sehr viele Konzepte des Customer Experience Managements sind schon seit Jahrzehnten bekannt – aber noch nicht konsequent umgesetzt. Der Druck auf die Unternehmen nimmt zu, da sowohl der Wettbewerb als auch insbesondere die Kundenerwartungen steigen. Es gilt, sich stetig weiterzuentwickeln, um sich nachhaltig von anderen Unternehmen absetzen zu können.
Diese Weiterentwicklung ist durch verschiedene Sprünge gekennzeichnet. Dies liegt zum einen an technischen Innovationen, welche eine andere, genauere und schnellere Ansprache des Kunden ermöglichen. Zum anderen entstehen Disruptionen durch neue, andere Ideen zur Kundenansprache und Kundenbindung. Erfolgreiche Unternehmen verändern, wie Kunden und gute Kundenkommunikation gesehen werden.
Jede Reise – auch die zur idealen Kundenreise und Kundenansprache – beginnt mit dem ersten Schritt. Machen Sie sich bewusst, was Sie heute (insbesondere in den Augen Ihrer Kunden und weiterer Marktteilnehmer) gut machen – und wo Sie Verbesserungspotenzial haben. Informieren Sie sich über neue technische Möglichkeiten, aber lassen Sie sich auch nicht durch Versprechungen der Automation und Künstlichen Intelligenz blenden. Erarbeiten Sie ein realistisches Bild, wie Sie zukünftig agieren wollen, um daraus die erforderlichen Schritte abzuleiten. Erfahrene Marktanalysten und Berater können Sie dabei unterstützen.